Wir denken ja, wir leben seit einem gewissen POTUS T. im Zeitalter der Alternativen Fakten. Aber hey, das sind natürlich Fake News. Denn Fakes sind so alt wie die Menschheit. Auch (und vielleicht vor allem) in der Politik. Ihr kennt »De bello gallico«? Caesars berühmtes Buch? Es verbreitet nicht nur gelegentlichen Horror in gymnasialen Mittelstufen, sondern ist auch angereichert mit unbelegten oder irreführenden Informationen. OK, im und über den Krieg wird eh immer gelogen, dass sich die Balken biegen. Aber hier mal ein Beispiel aus der Kategorie witzig: Um seine Nachbarn als „Wilde“ zu dissen oder zu framen, wie man in sophisticated sagen würde, behauptete Caesar das hier: Die Germanen würden Bäume ansägen, damit Elche, die sich nachts zum Schlafen an eben diese Bäume lehnen, umfallen und auf diese Weise leicht erbeutet werden können. Haha, daher vielleicht der Ausdruck »Jägerlatein«. Einen Fakten-Check gab es in jenen Zeiten halt noch nicht. Caesars Nachfolger Oktavian wiederum nutzte statt Büchern direkt Münzen als quasi omnipräsentes Kommunikationsmittel. Über diese ließ er fiese Geschichten über seinen Konkurrenten Marcus Antonius unters Volk zu bringen. Und was soll man sagen. Er ist als Augustus in die Geschichte eingegangen. Fake sei Dank.
Geschäftsmodelle als Diskursraum?
Der große Unterschied zwischen solchen antiken, aber auch mittelalterlichen neuzeitlichen, postmodernen und schließlich aktuellen Fakes ist offensichtlich: Nie war es so einfach, sie zu erstellen. Nie war es so „billig“, sie zu kreieren und nie war es so schwierig, sie zu erkennen. Generative KI hat eben auch ihre Schattenseiten. Laut einer Bertelsmann-Umfrage vom März 2023 waren 54 Prozent der Befragten oft oder sogar sehr oft unsicher über die Wahrhaftigkeit von Informationen aus dem Internet. Entscheidend für diese Unsicherheit sind dabei noch nicht einmal die Geschichten selbst. Entscheidend ist, dass es heute in der Regel extrem schwer ist, die Quellen der Stories (in Lichtgeschwindigkeit) zu verifizieren. Dies gilt insbesondere für Social Media Content. Kein Wunder, wenn man einen Blick auf die Funktionsweisen von Meta, X und Co. wirft. Deren Algorithmen liegen einem privaten Geschäftsmodell zugrunde. Und was machen wir? Führen dort politische und gesellschaftliche Diskussionen. WTF, was für ein krasser kommunikativer Miss-Match! Thomas Laschyk, Gründer des Blogs »Volksverpetzer«, sagte deshalb in einem Interview sehr treffend: „Fake News sind kein Fehler von Social Media, sondern ein Feature.“
Start ins Zeitalter der postsozialen Medien?
Lasst mich an dieser Stelle bitte kurz abschweifen, denn das hier ist auch interessant, wenn Social Media gefühlt das Hauptproblem beim Faken sind. Vielleicht ja nicht mehr ganz so lange: Adam Mosseri, Geschäftsführer von Insta (und Threads), hat tatsächlich angekündigt, dass Usern zukünftig kein politischer Content mehr zugespielt werden soll. OMG! Eine Form der Deeskalation? Oder wird hier schon mal das Ende der Party spürbar, wie The Economist kürzlich mit dem Artikel „The end of social networks“ spekulierte? Vielleicht trenden deshalb ganz zart Gegenentwürfe zu Insta? Immerhin (gemeinsam mit Twitter) ein Leitmedium der 10er Jahre. Wie etwa Be Real oder der Rückzug auf soziale Kurzdistanz in geschlossenen WhatsApp-Gruppen? Bereits beim neuen Social Media Superstar Tiktok ist die grenzenlose Vernetzung, also das dominierende Thema der 0er und 10er Jahre, nur noch sekundär. Man spricht bereits von postsozialen Medien, bei denen sich die Idee des Vernetzens wieder deutlicher in den guten alten Sender-Empfänger-Dualismus aufspaltet. Es gibt dort eine klare Rollentrennung: Content Creator und User. Was prima funktioniert, denn Tiktok weiß auch ohne Networking, was ich will – obwohl ich nicht teile und obwohl ich nicht selbst Content Creator bin. Wenn ich mit dieser Art des Algorithmus dann natürlich einseitig verblöde, who cares?
Glauben, Meinung, Wissen
Parallel zum (Noch-)Lauf der Social Networks erodierte in den letzten 20 Jahren zunehmend das, was formerly known as Qualitätsmedien war. Immer weniger Zusehende, Zuhörende, Lesende. Keine Zeit. Weil zehn Stunden pro Woche Social Media- Bildschirmzeit (Die Party läuft also noch – aber wir sind in D. ja gerne mal weiter hinten dran). Mit einer Stunde weniger, also binnen neun Stunden, könnte man übrigens locker in die Gutenberg-Galaxie driften und dort ein 300-Seiten Buch lesen. Und ja, tatsächlich beobachtet die Forschung aufgrund kognitiver Überforderung eine zunehmende Medienmüdigkeit. Nennt sich News Avoidance oder News Fatigue. „Dessen ungeachtet“, erklärt Prof. Stephan A. Jansen von der Karlshochschule Karlsruhe in einem Interview, „wird die digitale Über- und Desinformation weiter zunehmen“. OK, das halten wir mal so fest.
Konstruktiver Journalismus als Gegenpol zu den Massen-Fakes tut sich in unserer Welt megaschwer. Recherche, notwendiger Kontext und Hintergrundinformationen brauchen Sorgfalt und Zeit. Das Business und die enorme Kommerzialisierung der (ehemaligen?) Vierten Macht im Staat will aber maximale Geschwindigkeit und hohe Klickraten. Dass mitten in diesem Dilemma auch noch ein nicht unbeträchtlicher und wachsender Teil der Bevölkerung meist (immer noch!) verlässliche und seriöse Quellen richtig hart und lautstark hatet, für sich selbst cancelt oder sogar komplett abschaffen will, das ist ein weiteres absurdes Momentum unserer Zeit. Nur, weil man glaubt (Stichwort: „Bauchgefühl“ – warum denkt man eigentlich nicht mehr mit dem Kopf?) den Stein der Weisen bei irgendwelchen Trollen auf Telegram et al. gefunden zu haben (Ja, „Wer nichts weiß, muss alles glauben“). Glauben, Meinung, Wissen – da wird nur noch selten unterschieden, alles brodelt im gleichen Topf. Kein Wunder, wenn der irgendwann übergeht.
Gerechterweise muss man freilich einräumen: Die ersten 24 Jahre dieses Jahrhunderts haben uns nach der weitgehenden Unbeschwertheit der 80er und 90er eine Reihe massiver Krisen und nicht (mehr) vorstellbarer Katastrophen gebracht bzw. offenbart. Den Menschen wird durchaus enorm viel zugemutet. Die verständliche Folge: Unsicherheit, Verlust- und Zukunftsängste, Neid, Ohnmacht. Und eben diese nachvollziehbaren Emotionen, sie sind ein superfruchtbarer Boden für Desinformation. Mit Faktenchecks kommt man da kaum mehr gegen an.
Digitalisierung: Communications on steroids
Die Digitalisierung hat nicht nur der Information, sondern eben auch der Desinformation im 21.ten Jahrhundert eine atemberaubend rasante Evolution beschert. Internet und Social Media, das ist praktisch communications on steroids. Ich unterstreiche das gerne mit einer Zahl, die hier einigermaßen gut hinpasst: Wenn das Internet weltweit einen Tag ausfiele, würde sich der wirtschaftliche Schaden auf etwa 43 Mrd. USD belaufen. An einem einzigen Tag. Und wer mag schon den Schaden und die massiven gesellschaftlichen sowie politischen Auswirkungen in der ganzen Welt beziffern bzw. beschreiben, der durch digital-basierte Desinformation möglich wurde? Da fällt einem der Brexit ein, der Sturm aufs Capitol 2021, die vielen digitalen Kampagnen des Kreml bis hin zur hybriden Kriegsführung.
Allerdings sind Fake News in der heutigen Zeit längst nicht die Domäne allein derer, die man vielleicht als die »dunkle Seite« betrachten mag. Das Wirtschaftsmagazin brand eins titelte im Februar: „Jetzt wird zurück gelogen!“, um die Situation zu beschreiben, in der wir uns alle befinden. Alle, die die Welt verstehen wollen, die sich in ihr zurechtfinden wollen, die sie vielleicht ein Stück besser machen wollen. Wenn es um Macht und um Einfluss geht, ist sich niemand für einen Fake, für ein wenig Desinformation, für irreführende Aussagen zu schade. War es vermutlich noch nie. Aber das alles in high speed und mit der unglaublichen Macht der Vernetzung macht es für die große Mehrheit, die einfach nur wissen will, was gerade geht, umso schwerer. Und mit generativer KI können erst recht neue Paralleluniversen erschlossen werden.
Wie geht`s weiter?
Um die Realität von Fakes zu unterscheiden, braucht es eine kulturelle Veränderung in der Kommunikation, im Umgang mit Informationen. Mehr Bildung und mehr Medienkompetenz. Was definitiv bereits in der (Grund-)Schule beginnen muss, aber selbstverständlich auch an Hochschulen und Universitäten seine Fortsetzung finden sollte – schließlich geht es dort um Erkenntnis, um Wissen als Basis für Fortschritt, Innovation und Zukunft. „Lass das mal googeln“ oder einen Chatbot fragen, das reicht einfach nicht. Informationen muss man hinterfragen und verifizieren bzw. falsifizieren können. Nur dann ist man in der Lage, korrekt mit ihnen umzugehen. Wir alle müssen parallel zur Entwicklung insbesondere der KI ein Auge für dieselbige entwickeln. Denn je besser sie wird, desto mehr kann und wird sie auch für Desinformation genutzt werden. Da geht es dann gar nicht mehr um Wahrheit, sondern nur noch um Wahrnehmung.
Apropos kulturelle Veränderung und Wahrnehmung, hier noch ein anderer ziemlich krasser Trend. Mit dem Echtzeit-Filter Bold Glamour können Creators auf Tiktok ihr Aussehen optimieren (vermutlich im Sinne eines allgemeinen Schönheitsideals). Und hey, was soll ich sagen, da gibt es jetzt natürlich Leute, die finally in echt genauso aussehen wollen, wie ihr Avatar. Ist das nicht creepy? Das koreanische Gesundheitsministerium meldet dazu: Die Hälfte der Studentinnen in Korea haben bereits mindestens eine Schönheitsoperation hinter sich. Dystopisch.
There was a sense of disappointment as we left the mall All the young people looked the same Wearing their masks of cool and indifference Commerce dressed up as rebellion.
“Uniform”, Bloc Party (2007)
Jörg Kunz
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse oder Trends und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.