Wenn man »Einhorn« googelt, dann dominieren die Farben rosa und lila und quasi nie ist da ein Junge zu sehen. Immer nur Mädchen. So weit, so stereotyp. Fast diametral andersherum ist es in jener Szene, in der diese anderen Einhörner ihr bisweilen wildes Leben feiern. Also die mit den Eine-Milliarde-Dollar-Zeichen in den Augen. Da spielen Mädchen deutlich seltener mit. Aber OK, wir hier in Deutschland sind ja auch nicht so richtig ein Land für Einhörner. Und jetzt dreh mir bloß niemand direkt die Anspielung der Headline im Munde um und sage: Aber eins für alte Männer. Weil, hier solls um Gründung gehen.
Third Mission und die Unternehmerische Hochschule
Im März hat die TH Deggendorf erstmals einen Kooperationsvertrag mit einem eigenen Startup abgeschlossen. Das BayHIG, also das Bayerische Hochschul- und Innovationsgesetz, macht das neuerdings möglich. Ob die THD damit einem ersten Einhorn auf die Spur gekommen ist, das bleibt abzuwarten. Aber ein guter Anlass, mal wieder auf das Gründunggeschehen quer Beet draufzuschauen. Zumal wir mit Prof. Dr. Veronika Fetzer seit März eine Vizepräsidentin an der Hochschule haben, deren Thema genau das ist: Die »Third Mission«, der Transfer von Wissen, von Technologie, von Teilhabe in die Gesellschaft und dies natürlich auch durch eine aktive, eine kreative, eine potente Gründerszene. Den Claim »Unternehmerische Hochschule« soll man in Zukunft automatisch mit der THD in Verbindung bringen. Eine Art neues Markenversprechen.
Paralysiert in der Vergangenheit
Dann lasst uns mal die Situation abchecken. Im Vergleich ist Deutschland beim Gründen tatsächlich nur Mittelmaß. Platz 14 von 35 sagt der Global Entrepreneurship Monitor. Da fehlt es hierzulande schon an den Basics, sprich schulische Gründerausbildung. Gerade mal 2,7 von 10 Punkten. Auch die Politik priorisiert das Thema eher medioker und engagiert sich so lala: 4,6 von 10 Punkten. Mit anderen Worten: Das strukturelle Umfeld für Gründung ist leider nicht eben top notch. Vielleicht besser als beim European Song Contest, aber prickelnd geht freilich anders. Dabei fehlt es bei uns weder an erstklassiger Grundlagen- bzw. angewandter Forschung noch an klugen Köpfen. Und wir befinden uns in einer Megatransformation mit enorm vielfältigen Chancen. Die Digitalisierung von quasi allem, was wir kennen, bietet neue Tätigkeits- und Entwicklungsfelder ohne Ende. Im Fokus der Transformation aufgrund gewisser planetarischer Grenzen stehen vor allem die hier: die Verpackungsindustrie, der Bau, der Verkehr, der Nahrungsmittelsektor und die Energieversorgung. Dass der Putz der Industrienation Deutschland insgesamt bröckelt, ist freilich bedauerlich. Aber wenn Dinge zu Ende gehen, muss man mutig durch die nächste Tür. Man darf sich dabei nicht von Verlustängsten, von Gemütlichkeit in der (einstigen) Komfortzone oder von end- und fruchtlosen „Die-anderen-sind-schuld“-Debatten paralysieren lassen.
Vor 150 Jahren war alles einiges besser – really!
Von 1850 bis 1900, in der sogenannten Gründerzeit, erwuchs aus einer Nation von Bauern, Bäuerinnen und Handwerkern eine bis vor kurzem weltweit bewunderte Industrienation. Es entstanden famose Brands wie Siemens, Daimler oder Bosch – um nur drei aus einer sehr langen Liste zu nennen. Ich habe gelesen, dass Werner von Siemens – ja, auch der war einmal „nur ein“ Gründer – in Berlin eine elektrische Hochbahn bauen wollte. Er ist mit seiner Idee an den Anliegern der Friedrichstraße gescheitert (quasi echte Parallele zu heute; ich streiche in der Überschrift alles und ersetze es mit einiges). Da hat der Mann einfach auf eigene Kosten in Berlin-Lichterfelde die erste elektrische Straßenbahn der Welt bebaut. Was ein Hero.
Wenn wir die Zeit damals mit der von heute vergleichen, müssen wir feststellen, dass in der Gründerzeit die Population in Deutschland wuchs und jung war, heute schrumpft sie und wird immer älter. Die Globalisierung erhielt seinerzeit (unter anderem durch das Ende des amerikanischen Bürgerkriegs) einen Schub, heute scheint die Globalisierung ihr Potential ausgeschöpft zu haben, sie stößt an viele Grenzen. Ein Schiff liegt quer und die Welt steht nahezu still. Dazu hat die deutsche Industrie in den letzten Jahrzehnten viele Kompetenzen in ursprünglichen Kernbranchen sowie das damit verbundene Leadership an andere Länder verloren. Und seien wir ehrlich, wir haben außerdem wichtige Trends im sicheren Gefühl von 150 Jahren Spitzenklasse ein Stück weit verschlafen. Dazu kommen destabilisierende Finanzkrisen, Gesundheitskrisen, Kriege.
Denken wir an die berühmten Gründer aus jenen Jahren zurück, dann fällt zudem auf, dass wir es offensichtlich ein wenig verlernt haben, tolle Ideen auch in innovative Produkte oder Dienstleistungen zu transferieren, diese zur Marktreife zu bringen, zu vermarkten und schließlich zu verkaufen. Schon in den 90er Jahren hat sich mein Mikrobio-Professor, immerhin ein Forscher von Weltruf und Entdecker zahlreicher, damals noch weitestgehend unbekannter Archaebakterien, bitterlich darüber beklagt, dass man in Deutschland – im Gegensatz zu den USA – nur auf Lizenzen setzen möchte. Anstatt ein paar mutige Schritte weiterzugehen und Risikokapital in neue Möglichkeiten zu investieren. Seine innovativen Pläne hat er dann eben in den Staaten weiterverfolgt. So geht der Brain-Drain!
Bildung never ends
Und noch eines beim Blick zurück: Die Gründerzeit zeichnete sich strukturell durch massives Invest in Bildung aus. Der Staat (aka Politik) nahm hier immer mehr Einfluss und besonders interessant, in jenen Jahren liegen auch die Wurzeln der heutigen Technischen Hochschulen. Heute sehen wir, dass die Bildungsausgaben in den letzten zehn Jahren zwar um etwa 50 Prozent gestiegen sind. Aber da steckt zum einen eine massive Inflation seit dem Ukrainekrieg mit drin und zum anderen reicht auch dieser Anstieg bei weitem nicht aus, um unsere vielfältigen Bildungsherausforderungen insbesondere entlang der Migration zu covern. Was übrigens speziell die Hochschulen angeht, so beginnt die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) jetzt mit der Förderung von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. OK, 35 Millionen Euro sind auch nur ein weiterer Tropfen auf den heißen Stein. Aber immerhin soll das Budget bis 2026 auf 250 Millionen Euro ansteigen. Wie auch immer, an genau dieser Stelle, bei der Bildung, verquicken sich final sämtliche gesellschaftlichen Kernthemen: Migration und alternde Gesellschaft, Bildung und Fachkräftemangel, wirtschaftliche Prosperität und Innovation, Bewahrung des Mittelstandes als Rückgrat und neue Unternehmen.
Last but not least, zum Thema Bildung gehört auch diese Sache hier. Die Metakrise »Climate Change« und alles, was damit zusammenhängt, als Beispiel. Was es braucht, sind vor allem Greentech-Lösungen. Ideen von cleveren Ingenieurinnen und Ingenieuren werden es sein, die wir am nötigsten haben werden. Aber gerade hier steht Deutschland offensichtlich richtig schlecht da. Naturwissenschaften, Mathe, Physik und Chemie tauchen in der frühkindlichen Bildung kaum auf und sind später in der Schule verpönt. Nicht zuletzt durch „gut gemeinte“ Narrative der Eltern, die Mathe selbst nicht mochten. Die OECD schätzt, dass bereits 2023 nur noch 1,4 Prozent der MINT-Fachkräfte (innerhalb der OECD und der G20-Staaten) aus Deutschland stammen werden. Aus China und Indien hingegen 37 bzw. 26,7 Prozent. Wenn ständig von Wohlstandsverlust geredet wird, dann müssen wir über dies nachdenken. Nämlich über Bildung speziell im naturwissenschaftlichen Bereich. Und dass es eben jener durch Chemie, Physik, Biologie, Pharmazie oder Medizin entstandene Wohlstand ist, der es uns aktuell (noch) ermöglicht, nicht die „krassen Fächer“ Maschinenbau oder Elektrotechnik zu studieren, sondern auch mit vermeintlich leichteren Studiengängen ein durchaus einkömmliches und vielleicht gechillteres Leben zu führen.
Familienunternehmen und Startups – eine Symbiose?
Eine spannende Frage ist auch, ob der Mittelstand frischen Wind in die Gründungswelt bringen kann. Der investiert zwar wenig in Startups, dafür jedoch effektiv. Parallel vergegenwärtigen wir ein signifikantes Nachfolgeproblem im Mittelstand. Und Vermögen ist oft da. Sogenannte Family Offices sollen unter anderem eine Kultur der Innovation und kontinuierlichen Verbesserung zu etablieren. Sie finden einen idealen Mittelweg zwischen innovativen Anlagen und bewährten Strategien. Zum Beispiel auch durch Beteiligungen oder vielleicht sogar Übernahmen von Startups. Wenn sich also Familienunternehmen, die sage und schreibe 90 Prozent aller aktiven Firmen in Deutschland repräsentieren, mit Startups verknüpfen, diese sich wiederum in Wertschöpfungsketten einpassen, könnte man quasi direkt an die industrielle Kompetenz der letzten sieben Dekaden andocken.
Mir fällt dazu außerdem ein hochschulübergreifendes Förderprojekt unter Federführung der THD ein. »Digital Innovation Ostbayern« (DInO) soll speziell den Mittelstand hierzulande beratend unterstützen. Und ja, warum soll aus solchen Matches von KMU und Forschenden, wo man einerseits Problemstellungen skizziert und andererseits Lösungsvorschläge, nicht auch Startups hervorgehen? Die sich dann an die Realisierung eben jener Herausforderungen machen. Und genau hier, genau hier ist sie, die Triade aus Forschung, Wirtschaft und Entrepreneurship. Tatsächlich möchte ich sogar noch einen Schritt weitergehen: Wenn wir an Bayern oder von mir aus auch eine Nummer kleiner, an Niederbayern denken, dann erscheint sie doch ziemlich vielversprechend, diese wilde Kombination aus Startup-Esprit, Standing & Sicherheit des Mittelstandes sowie einer großen Portion Heimat & Lebensqualität. Was für ein Nährboden – vielleicht sogar für die sagenumwobenen Einhörner.
Campus für alle
In dieser Stelle und in diesem Zusammenhang noch eine strukturelle Frage: Welches Konzept ist das erfolgreichere? Die oft praktizierten Co-Working Spaces, wo Gründerinnen und Gründer mehr oder weniger unter sich sind – wenn auch eingebettet in ein Netzwerk von Enablern, wie etwa am THD-Startup Campus oder am BITZ in Oberschneiding? Oder ist es doch eher die sicherlich einige Nummern größer gedachte Lösung eines Campus, auf dem ambitionierte Startups sich direkt mit Managern und Entwicklern von Unternehmen in einem gemeinsamen Mikro-Ökosystem befinden? Heilbronn machts übrigens vor. Quasi eine sich gegenseitig befeuernde Gemengelage von Kreativität, Erfindergeist, Geld und Innovationsdruck. Von Wunsch und Wirklichkeit. Man erahnt schon auf den ersten Blick die Komplexität. Hier müssten sich Hochschulen als Quell junger Menschen und Unternehmen als Marktexperten zusammentun, um solche (vielleicht auch nur virtuelle) Orte zu entwickeln. Der Politik käme zugleich als Gestalterin von Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle zu. Es geht bei solchen kollaborativen Ansätzen freilich nicht nur um den Innovationshebel, sondern auch um Kosteneffizienz, um Risikominimierung und natürlich: um Geschwindigkeit. Akzeleration als ein weiterer Schlüsselbegriff. Technologischer Fortschritt verläuft exponentiell, wie ihr wisst. Im 21. Jahrhundert werden wir nicht 100 Jahre Fortschritt erleben, sondern roundabout 20.000 Jahre. Die Alltagsrelevanz des Radios benötigte sage und schreibe 38 Jahre. Die des Fernsehens 13 Jahre, das Internet brauchte vier Jahre, Facebook (damals 😉) zwei. Und mit dem heutigen Tempo des digitalen Wandels sind nicht nur viele Menschen überfordert, sondern natürlich auch große und mittlere und kleine Unternehmen.
Ich sehe bei einem Modell wie gerade eben beschrieben eine direkte Parallele zu den Technologie-Transferzentren der THD. Dort leisten Forschende in Themen-Clustern den Transfer von Wissen in die Wirtschaft und saugen umgekehrt Real-Life-Expertise auf, um diese wiederum in ihre Forschung einzuspeisen. Entsprechend bestätigt Axel Koch von der TransferAllianz jüngst gegenüber einem Wirtschaftsmagazin, dass Gründerinnen und Gründer für den Wissenstransfer eine immer wichtigere Rolle spielen. Warum also nicht auch an der THD bzw. in Niederbayern.
Bürokratie – na klar, auch
Zum Schluss nochmal ein wenig Wasser in den Wein. Denn überbordende Bürokratie ist auch beim Gründen so ein Thema. Da könnte man sicherlich schnell Hürden abbauen. Und kostet nix. Was in Neuseeland vier Stunden dauert, das dauert bei uns gefühlt eine Ewigkeit. Daher nicht weiter erstaunlich, wenn fast die Hälfte (45 Prozent) der Gründenden in Deutschland genau in dieser Bürokratie ihre größte Hürde sieht. Andere wiederum halten dagegen: „Ja Leute, OK – das mit der Bürokratie ist tatsächlich schlimm. Aber hört mal, wenn dies bereits ein »echtes« Hindernis ist, zu gründen und damit eine gute Idee aufzugeben, dann ist es vielleicht auch besser so!“ Stimmt, weil da kommen noch ganz andere Dinge auf dem Weg nach oben. Oder wie andere sagen: „IT`s a long way down to the top”.
Apropos oben und der Frage in meiner Überschrift. Vielleicht denkt Ihr, 30 Unternehmen mit einer Börsenbewertung von über einer Milliarde US Dollar in Deutschland, das ist doch gar nicht so wenig. Dann muss ich Euch sagen, dass es alleine in New York 115 gibt, in Peking 63 und in London 43. Und weil wir noch einmal beim Zahlendreschen sind: Ende 2023 war das höchstbewertete deutsche Einhorn die IT-Firma Celonis mit einem Wert von 13 Milliarden US Dollar. Das chinesische Bytedance lag bei 225 und SpaceX bei 150. Sieht so aus, als hätte das (Noch-)Land der Ingenieurinnen und Ingenieure, gerne auch mal als »Land der Ideen« unterwegs, ziemlich Nachholbedarf beim Skalieren und Monetarisieren seiner Ideen. Aber das hatten wir schon.
Jörg Kunz
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse oder Trends und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.