Wenn du zum Festival für die digitale Welt gehst und dann plötzlich mit 70.000 – yeah, siebzigtausend – echten Menschen am gleichen Spot bist, dann ist das schon ein krass weirder „Wow“-Moment (der Authentizität willen alles ein bisschen im Event-Sprech). Wo? In der Perle Hamburg, beim OMR22. 900 Speaker und 90 Master-Classes. Red stage, blue stage, yellow stage. Celebrities wie Ashton Kucher und Quentin Tarantino. CEOs vieler großer Unternehmen, die in Jeans und Hoodie (what else?) über ihren digitalen Transformationsprozess talken. Echt massive, abgefahrene Bühnen und Show-Settings. Und in der Exhibition Hall natürlich alle relevanten Digital-Players von Meta über YouTube, Google oder TikTok. Wisst Ihr, wie es sich anfühlt, wenn an jedem der rund 400 Quadratmeter-Mega-Booths ein DJ in Lautstärke eines Düsenjets auflegt? Wir jetzt schon. Aber Nebensache, weil für uns zwei lange Tage mit einer Flut von Informationen und einem Sack voller Inspirationen. Wow 2.0!
Jetzt gerade bin ich zurück in der Steinzeit – sprich, ich sitze im ICE der DB – und warte seit fast 60 Minuten darauf, dass mir das WLAN ein paar Mails ausspuckt. Zeitlupe Dreck dagegen. Also Blog schreiben. Ihr müsst wissen, wenn du aus so einem digitalen Riesenhype wieder auf die harte Schiene der Realität ohne Netz gesetzt wirst, das ist ein harter Move. Anti-Wow quasi. Aber hey – die cringe Customer-Journey bei der Bahn ist eben kein Fun. Sondern nur Fact.
TikTok ist für TikToker
OK, ein paar Highlights, die wir (Theresa Kappl und Meli Baier vom TC Parsberg waren auch da) mitgenommen haben, will ich gerne teilen und im Blog verewigen. Und echt jetzt, es ist nicht leicht die vielen Impressions zu sortieren und geradeaus zu bekommen. Weil OMR eben auch so ne Art Kombi von Rock/HipHop-Konzert und Business-Konferenz. Also, Punkt eins. Die digitale Welt ist vor allem jung und ziemlich weiblich. OK, at least 50:50. Message: heißt nicht, dass Ältere ausgeschlossen wären. Aber da gibt es eben Dinge wie beispielsweise Influencing auf TikTok, die musst Du als Gen Z minus X nicht unbedingt verstehen. Oder lustig finden. Aber sie funktionieren. Daddy-Content hingegen nicht (Danke an die Elevator Boys für den nicen Begriff). Um den Bogen zur Hochschule zu schlagen, das Schöne an der THD-Kommunikation ist ja gerade, dass wir mit unseren SHK nicht nur die Zielgruppe selbst an Bord haben. Sondern auch genau die Altersgruppe, die versteht, wie solche Medien funktionieren, wie die Posts aussehen müssen und wie sie (positive) Awareness kreieren können. Interventionen, Befindlichkeiten und Besserwisserei kommt da echt weird. Ganz ehrlich, ich kann behaupten, so richtig viel Erfahrung in Sachen Marketing und Kommunikation zu haben, aber f*ck, ich bin eben keine 20. Entsprechend würde ich mir auch nicht anmaßen, die Sache besser verstehen zu wollen als 20-Jährige, die Postings für andere 20-Jährige machen. Auf Medienplattformen für 20-Jährige. Ich finde man sollte deren Arbeit einfach respektieren, wertschätzen und ihnen entsprechende Verantwortung überlassen. Weil sie dieser gerecht werden und weil sie es verdienen. By the way, auch ein Bildungsauftrag für uns als Hochschule, das mit der Verantwortung.
Botting everywhere
Beindruckt hat mich außerdem Rezo mit seiner Master-Class zum Thema Botting. Den Älteren möglicherweise nur wegen seines CDU-Bashings bekannt, der offensichtlich sehr clevere Kerl hat einen Master in Informatik und ein eigenes Unternehmen (Nindo) gegründet. Respekt. Bei einem Kongress mit gefühlt 50.000 Leuten alleine aus der Influencer- und Creator-Szene erzählt er, wie viele von diesen versuchen, ihre Business-Partner auszutricksen. Interessant. Kehrseite der Szene, die so fresh, so easy, so cool daherkommt. Meist, erzählt Rezo in beeindruckend cooler Art vor immerhin 800 Leuten, schauen die Unternehmen nur auf die Zahl der Follower, welche die Influencer vorweisen können. Ohne die Daten allerdings zu analysieren. Dabei geht das und die Auswertungen zeigen Abgründe. Gekaufte Fans, gekaufte Likes, gekaufte Kommentare, gekaufte Vernetzungen. Zum Teil unfassbar billig – vor allem bei einem der heißesten Channels, bei Instagram. Kleines Investment, großer ROI. Rezo zeigt eine Menge interessanter Cases. Welche Daten einzelner Creators man auswerten kann und welche Metriken sich daraus geben. Insightful, das alles. Aktuellster Trend ist das Post-Botting. Denn der Blick wandert von der Zahl der Follower zur Zahl der Likes pro Posting. Deshalb wird jetzt vor allem da gefaked.
NFTs, Blockchain und Superstars
In einer anderen Master-Class lerne ich, dass der Datenschutz die Cookies schon bald killen wird. Aber natürlich haben gewiefte Targeted-Marketing-Cracks bereits Lösungen parat. Mit Hilfe von Mobiltelefondaten kann schon jetzt über Aufenthaltsorte bzw. die Einwahl in bestimme Funkzellen ein relativ gutes Profil von Leuten erstellt werden. Gezielte Werbung wird also nur auf einem anderen Platz spielen, wenn die Cookies den DSGVO-Tod sterben. Bei der OMR22 wird logischerweise über NFTs und Blockchain gesprochen und über das Zeitalter der Superstars. Die haben schon heute dank Digitalisierung und Internet alles selbst in der Hand. Sie alle sind Brands mit unglaublichen Optionen. Dass eine Harvard-Professorin auf die in Hamburg gestellte Frage, welche Mega-Superstar-Marke denn aus Deutschland käme, den FC Bayern München nennt, das ist natürlich schon witzig. Ausgerechnet am Tag vor der Relegation des HSV gegen Hertha und des Europa-League-Siegs von Eintracht Frankfurt.
Investor der Herzen: Ashton Kutcher
Als am zweiten Tag die Konferenz auf ihren Höhepunkt zusteuert, füllt sich die Conference Hall. In der Mittagspause spielt Sido. In echt. Drei Songs. Wie überhaupt viel Rap und HipHop angesagt ist. Aber was für ein cooler und emotionaler Moment für die schon riesige Crowd in der Messehalle B7. Die Halle implodiert förmlich. Für 15 Minuten. Dann geht’s weiter. Als Ashton Kutcher auf die – ich übertreibe nicht, rund 50 Meter breite – Bühne kommt, sind angeblich 10.000 Leute in der Halle. Kein Stuhl, kein Zentimeter Boden ist unbesetzt. Der erfolgreiche Schauspieler und Investor erzählt im lockeren Interview über seine Motivation, Geld in Unternehmen und Start-ups zu stecken. Ihm gehe es, sagt er, nicht um Businesses die alleine auf Profit ausgelegt sind. Er schaue auf Geschäftsmodelle, die einen echten (und skalierbaren) Benefit für die Menschen haben. Und er schaue auf die Menschen hinter der Idee. Seine Investitionsempfehlung lautet grundsätzlich: „NGOs“. Wie auch immer, klingt auf jeden Fall gut. Seinen eigenen Erfolg als Investor erklärt er charmant und witzig zugleich: „Ich werde zurückgerufen!“ Egal, welches Unternehmen und welcher CEO, einen Ashton Kutcher ruft man einfach zurück. Immer. Nach seinem besten Invest ever gefragt, sagt Kutcher dann: „Die Heirat mit meiner Frau Mila.“ Auch die letzten der gefühlt 8.000 weiblichen Herzen in der Halle fliegen ihm jetzt zu. Unter tosendem Applaus. Und warum sind wir in Deutschland so wenig erfolgreich mit dem Gründen und dem Investieren in Start-ups? Kutcher überlegt lange, ein kurzes Lachen. OK, er packt das Thema anders an. „Diese Frage kenne ich von überall auf der Welt. In Idaho, wo ich herkomme, fragen sie mich das gleiche. Und in Michigan ebenfalls. Und auch in Ohio. Es braucht immer ein paar Leute, die einfach anfangen, eine Idee umzusetzen. Die ziehen dann wieder andere Leute an, die dazu passen oder das ganze ergänzen. Und so kommt eben eines zum anderen.“ Nice. Die ebenfalls amerikanische Moderatorin tut aber doch noch etwas Wasser in den Wein. Sie spricht die Risk-Aversion an. Die sei eben hier in Deutschland und Europa besonders ausgeprägt, weit mehr als in den USA. Recht hat sie.
Daten und Geschichten
Das letzte Highlight ist für mich der Auftritt von Legende Quentin Tarantino. Und zugleich das überraschendste Bekenntnis der OMR-Festivals: „I do not even have a cell phone“. Ha, ihr digital Nerds. Eingeladen ist der Regisseur und Autor vor allem deshalb, weil er als einer der größten Geschichtenerzähler ever gilt. Storytelling – der Begriff durfte nicht fehlen. Denn auch das haben wir erneut gehört. Data and Story – das ist es, worauf Investoren bei Start-ups aber auch bei anderen Investments schauen. Mit den Daten sind wir im Ingenieurland D. ja ganz prima aufgestellt. Bei den Geschichten tun wir uns eher schwer. Das erscheint uns zu banal, zu kindisch, zu unwichtig. Aber Geschichten sind eben Emotionen und gute Marken, das sind mit Emotionen aufgeladene Personen, Unternehmen oder eben auch Hochschulen. Gilt für den Standort ebenso wie für die Lehre oder die Wissenschaft. Nur wegen Wissenschaftskommunikation und so. Den Spirit, den Theresa, Meli und ich in Hamburg mal wieder aufsaugen durften, den werden wir mit in unsere Jobs und unsere Aufgaben an der THD nehmen. Genau wie die Ideen und das Wissen. Denn: Communication is what makes the world go round. Is so. Digital und in echt. Here we go.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.