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Zwischen Wut und Liebe – Spagat der häuslichen Pflege

28.6.2016 |

20160628 pflegeFachtagung im Rahmen der Kooperation von THD und MDK Bayern

Wo wir Liebe, Zuneigung und familiäre Geborgenheit vermuten, spielen sich mitunter auch Erfahrungen von Gewalt und Aggression zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen ab. Darauf wurde vergangene Woche im Rahmen einer Fachtagung der Technischen Hochschule Deggendorf (THD) an der Fakultät Angewandte Gesundheitswissenschaften (AGW) aufmerksam gemacht.

Durchgeführt wurde die Tagung im Rahmen der Kooperation mit dem Medizinischen Dienst Bayern (MDK). THD Vizepräsident Prof Dr. Horst Kunhardt eröffnete die Veranstaltung, zu der mehr als 100 Gäste aus der Pflege und der Medizin kamen, darunter Pflegeberater, Studierende der Pflege, Pflegefachkräfte sowie Pflegende Angehörige. Als Ziel einer weiteren Entwicklung zum Thema Gewalt in der Pflege formulierte Prof. Dr. Kunhardt „daß die Verbindung von Sensibilität und professionellem Umgang mit Gewalt einen bleibenden Spagat darstellt. Außerdem spielen künftig Kommunen eine viel größere Rolle, wenn es darum geht, die Pflege sowie die pflegenden Angehörigen zu stärken.“ Seit dem Inkrafttreten des gesetzlichen Anspruchs auf eine individuelle Pflegeberatung hat die TH Deggendorf in Kooperation mit dem MDK Bayern über 250 Pflegeberaterinnen und Pflegeberater ausgebildet. Prof. Dr. Christian Rester, Gerontologe und Pflegewissenschaftler an der Fakultät AGW der TH Deggendorf, führte durch die Tagung, gab Impulse und berichtete aus der Praxis.

In Vertretung von Staatsministerin Melanie Huml, begrüßte Herr Dr. Bernhard Opolony, Leiter der Abteilung Pflege und Prävention am Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, die Tagungsteilnehmer. In seiner Rede ging er auf das nach wie vor bestehende Tabu von Fürsorge, Belastung und Vernachlässigung in der häuslichen Situation ein. Dabei stellte er die Frage nach Schaffung einer Kultur des Hinschauens auch in der häuslichen Pflege. Viele positive Entwicklungen in der Pflege seien aus dem Pflegestärkungsgesetz III zu erwarten, unterstrich Frau Dr. Randzio, stellvertretende Geschäftsführerin beim MDK Bayern sowie Leitende Ärztin im Bereich Pflege. „Entwicklungen zur Stärkung der Pflege sind bitter nötig, denn Gewalt findet sich noch heute in der Pflege“, so Dr. Randzio

Beeindruckende Erkenntnisse lieferte dazu Frau Univ-Prof. Dr Andrea Berzlanovich von der Gerichtsmedizinischen Fakultät der Medizinischen Universität in Wien. „Freiheitsentzug ist eine Form, wie nach wie vor in der Pflege Gewalt geschieht, die bei körperlicher Fixierung auch zum Tod führen kann. Körperliche Fixierungen sind in der Pflege abzulehnen und kommen dennoch weiterhin vor“. Diese Situation werde mit der Zunahme von Menschen mit Demenz noch verschärft. Ihnen gestehe man ein Urteil oft nicht mehr zu. „Die Pflegenden Angehörigen fühlen sich oft allein gelassen und die Spirale wechselseitiger Entstehung von Gewalt nimmt ihren Lauf. Oft langjährige und ohnehin belastete Beziehungen zwischen Ehepartnern werden auf eine überfordernde Probe gestellt“, beschrieb die Sozialwissenschaftlerin Sandra Kotlenga von der Gesellschaft für prospektive Entwicklung (zoom eV.) aus Göttingen in ihrem Vortrag. Darauf aufbauend behandelte Dr. Ralf Suhr vom Zentrum für Qualitätsentwicklung in der Pflege (ZPQ) aus Berlin die Möglichkeiten eines professionellen Umgangs mit Gewalterfahrungen und schloss ebenfalls, dass Gewalt, auch in noch so schwacher Ausprägung, nie eine Lösung sein könne. Das Zentrum für Qualitätsentwicklung in der Pflege, Berlin, richtete eigens dafür ein Servicetelefon ein. Betroffene können kostenfrei anrufen.

Frau Marinna Hanke-Ebersoll von der AOK Bayern vertrat die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern in ihrem Grußwort.

Die sehr lebendige Podiumsdiskussion mit den beteiligten Referenten schloss die für alle Beteiligten hoch interessante Tagung ab. „Vertrauen Sie ihrem Bauchgefühl“, gab Prof. Dr. Berzlanovich den Teilnehmern mit auf den Weg, „denn das trügt uns nie“.

Gemeinsam mit den Akteuren von Ministerium, MDK und dem Zentrum für Qualität in der Pflege sagte Vizepräsident Prof. Dr. Kunhardt den Teilnehmern zu, auch als Hochschule weiter in Bewegung zu bleiben und eine öffentliche Bildungsreihe für Pflegeinteressierte und Öffentlichkeit anzubieten.

Bild vorne v. l.:Sandra Kotlenga, Prof. Dr. med. Andrea Berzlanovich, Dr. med. Otilie Randzio, Anna Leib-Gerstner, Prof. Dr. Horst Kunhardt; hinten v. l.:Dr. Bernhard Opolony, Dr. Ralf Suhr, Prof. Dr. Christian Rester, Marianna Hanke-Ebersoll

28. Juni 2016 | THD-Pressestelle (CM)